Samstag, 29. September 2007

Kapitel III.3 Das Herz der Stadt

Beim schreiben dieses Kapitels kamen dem Autor des öfteren Zweifel bezüglich der Wahl des Themas. Was ist das Herz Tartus, die Universität oder der Rathausplatz. Der Autor hat sich für letzteren entschieden, ohne damit der Universität den zweiten Platz zuweisen zu wollen. Ist doch die Universität, zwar lokal neben dem Rathausplatz angesiedelt, durch die Studenten über die Stadt verteilt, der Rathausplatz dagegen am Fuße des Domberges der Dreh- und Angelpunkt der Altstadt Tartus, ein großer Kopfsteingepflasterter Platz, an dessen oberen Ende das Rathaus dominiert und das den Blick auf den Emajõgi und die Steinbrücke quer über das Areal hat. Die angrenzenden Häuser scheinen sich an den Rand zu drängen um dem Rathaus, dem Senior des Raekojaplats, wie die estnische Bezeichnung ist, nicht im Blick zu stehen.

Wer sich auf den Rathausplatz Tartus begibt, dem wird zugleich der Brunnen auffallen, der vor dem Rathaus am Kopfende des Platzes gebaut wurde. Es ist ein moderner Brunnen, und dennoch sollte man ihn sich näher ansehen, beherbergt er doch eine seltsame, traurige und doch erheiternde Geschichte. Wenn der geneigte Estlandfreund vor Ort steht wird er sehen, dass in der Mitte des Wasserbeckens ein sich innig küssendes junges Paar dargestellt wird. Und in Tartuer Kneipen wird sich hierzu bei Bier und Tabak folgende Geschichte erzählt:

Als die Gestallter des Brunnens beschlossen, ein Symbol der Liebe, ein sich küssendes Paar, in dem Brunnen abzubilden wurde als Model ein bekanntes Paar von der nahen Universität auserkoren – Die Namen der beiden konnte der Verfasser bis zum heutigen Tage nicht heraus bekommen, er weiss jedoch, dass der Junge Mitglied der altehrwürdigen Studentenverbindung Sakala war, das Mädchen oder besser die Junge Frau die Farben der Korporation Filia Patriae trug. Nun standen die beiden auch gerne zur Verfügung und dann auch Model für eben jeden sich in heißer Liebe küssenden Figuren. Und wie es der Teufel will, wenige Tage vor der feierlichen Enthüllung des Brunnens trennte sich das Paar. Und seit jenem Tage mussten die beiden auf dem Weg zur Vorlesung an dem Brunnen vorbei, und auch an jenem Paar, dessen Model das Liebespaar einst gewesen ist. Und zu hohen Festlichkeiten kann es passieren, dass Angehörige der jeweiligen Verbindungen die Figuren im Brunnen mit ihren Farben schmücken.

Einige Worte sollen auch über die Fußgängerbrücke verloren werden, die direkt an den Rathausplatz anschließend über den Emajõgi führt. Früher eine imposante Erscheinung ist sie heute ein hässliche – man verzeihe mir den Ausdruck – Betonkonstruktion, die jedoch im Studentischen Leben eine wichtige Rolle spielt. Es gibt – nach altem Tartuer Spruch – drei Bedingungen um sich ein Dorpater Student nennen zu dürfen: Man muss durch eine Prüfung gefallen sein. Man muss …. Und man muss einmal über die Brücke gelaufen sein. Letzteres mag einfach erscheinen, bedenke man aber, dass mit über die Brück auch wirklich über gemeint ist, also über jenen Bogen, der sich mit geschätzter Breite von einem Meter über den Fluss und die Plattform für die Fußgänger spannt. In moderneren Zeiten kam es auch vor, dass mancher Studente, vielleicht aus Übermut oder falsch verstandener Bequemlichkeit statt per Pedes auf seinem Motorrad über die Brücke begeben hat. Obwohl dies mehr oder weniger erfolgreich von den Behörden der Stadt durch Aufstellung eines Hinweisschildes zur Geschichte der Brücke verhindert werden konnte, zumindest logistisch, und auch das Überqueren zu Fuss unter Strafe gestellt wurde, möchte der Autor aus seiner Zeit als Student Tartus auf eine Anmerkung in einem Einführungsseminar hinweisen, die er nicht vergessen hat. Gegen Ende des Seminars wurde den versammelten Studenten der Ratschlag mit auf den Weg gegeben, dass, sollte man denn der Tradition folgend sich auf den Weg über die Brücke machen, dies dann doch wenigstens nüchtern zu tun und den obligatorischen Schluck Saku erst nach erfolgreicher Überquerung zu sich zu nehmen. Ein Ratschlag, den sich anscheinend alle zu Herzen genommen haben, zumindest kam dem Autor nicht zu Ohren, dass es bei dieser Tradition bis heute zu Verletzungen oder Schlimmeren gekommen ist.

Wenden wir uns nun dem Domberg zu. Es sei dem Leser an dieser hiermit darauf hingewiesen, dass, nimmt man die estnische Bezeichnung, Domberg nicht gleich Domberg ist. Während der Tallinner Domberg den estnischen Namen „Toompea“ trägt, also „Domkopf“, sollte man es wörtlich übersetzen (wobei die Silbe „pea“ ad exemplum auch in der Bezeichnung Hauptstadt / pealinn vorkommt.), so finden wir in Tartu den „Toome mägi“. Der Domberg zu Tartu erhebt sich hinter Alma Mater und Rathausplatz unübersehbar wenn auch in nicht gerade berauschender Höhe. Dem Leser wird geraten, die lange und mit Kopfstein gepflasterte Schlossstraße (estnisch Lossi) zu benutzen. Nachdem zur linken und rechte auf der Straße neuere Gebäude der Universität hinter sich gelassen wurde steht man vor der Engelsbrücke. Es sei jedoch gestattet, kurz auf die Lossistraße einzugehen. Am Fuß derselben befindet sich das bereits vor hunderten von Jahren bestehende Draakoni Restaurant, in direkter Nachbarschaft zum Rathaus. Geht man Straße dann bergauf sieht man auf der linken Seite das Gebäude der Unicersität, in welches der Verfasser dieser Schrift ein Jahr lang die Ehre hatte jede Woche seine Seminare an der Universitas Tartuensis zu besuchen. Der an einem Studium im Ausland interessierte Leser sei an dieser Stelle das Serviceangebot in kurzen Worten erläutert. Da Estnisch eine nicht gerade leichte Sprache ist hat die Universität für die Gäste aus anderen Ländern ein eigenes Institut geschaffen, in denen man „Baltic studies“ studieren kann. In diesem Programm findet der Student verschiedene Seminare zur Geschichte, Politik, Wirtschaft, Natur, Folklore und dem Rechtssystem der Baltischen Staaten, Schwerpunktmäßig selbstverständlich auf Estland ausgerichtet. Dieses Programm, dass es auch in vielen anderen Ländern, neben Europa auch in den USA und Canada gibt, ist für Ausländer nicht nur wegen der Unterrichtssprache Englisch ratsam sondern auch aufgrund des vielseitigen Überblicks, den man erlangen kann und soll. Schräg gegenüber des Intern „Lossi kolm“ genannten Gebäudes findet man eine der beliebtesten Studentenkneipen, den Püssirohikelder, zu Deutsch den Schiesspulverkeller. In den Berg hinein hat man den alten Keller in eine zweistöckige Kneipe gebaut, in der Livemusik und ständig volle Tische, an denen man dennoch Platz findet, eine willkommene Station beim abendlichen Bummel bieten. Gerade diese Kneipe hat es dem Autor angetan und es fällt schwer, nicht viele Erinnerungen an herrliche Abende zu erzählen; allein die Befürchtung, dass es den Leser langweilen würde jedoch ist es nicht, die den Autor eben jenes reflektieren verbietet. Vielmehr soll der Leser selbst seine Erfahrungen sammeln an jenem Ort und die Atmosphäre unvoreingenommen genießen können. Ein Tipp sei jedoch erteilt: Dort erhält man – nach der natürlich sehr subjektiven Betrachtung des Schreibers – das beste Knoblauchbrot in ganz Estland.

Ohne an diesem gastlichen Ort länger zu verweilen wenden wir uns jedoch weiter in Richtung Domberg. Am Ende der Straße unterquert der Besucher der ältesten Stadt Estlands die „Inglisesild“. Die Übersetzung dieses Namens ist klar und doch indifferent. Die Brücke, die im folgenden noch näher beschrieben werden soll, heißt „Engelsbrücke“. Eine wörtliche Übersetzung könnte allerdings, ein Phänomen der estnischen Sprache, auch „Englische Brücke“ heißen. Die in hellen Farben weiss und gelb gehaltene Brücke trägt, so man sie vom Berg her sieht, das Bild des ersten Rektors der Universität Dorpat nach Widergründung, Georg Friedrich Parrot, der von 1801 bis 1815 in Zusammenarbeit mit seinem Kurator Maximilian Klinger die Universität aufbaute. Auf der der Stadt zugewandten Seite findet man die Inschrift „Otium reficit vires“, „“Aus der Ruhe kommt die Kraft“. Das interessante an der Engelsbrücke ist aber auch ihr Konterpart, die Teufelsbrücke, auf der anderen Seite des Domberges gelegen, grau und unscheinbar und zu Ehren der Zarenfamilie Romanow gebaut. Wann der Name „Teufelsbrücke“ aufkam ist dem Verfasser allerdings unbekannt. Wo die Engelsbrücke in vielen Reiseführern Erwähnung findet, ist die Teufelsbrücke ein eher unbekanntes Gebilde im Areal des Domberges zu Tartu für Touristen. Fakt ist jedoch, dass die Brücke von den russischen Zaren erbaut wurde und das Konterfeil von Zar XYZ zu tragen die Ehre hat. Ob nun daraus der Schluss zu ziehen ist, dass der Name Teufelsbrücke von den Tartuensern eben wegen jener russischen Verbindung aufkam soll unbeantwortet bleiben. Es muss auch ungelöste Rätsel geben…

Kapitel nicth vollständig! Fehlt: Domruine, Universitätsmuseum, Denkmäler, Wilde pub (Buchhandlung und Cafe)

Keine Kommentare: